Projekt

Das Projekt zielte auf die Prävention von sexualisierter Gewalt insbesondere bei männlichen Kindern und Jugendlichen. Für diese Zielgruppe ist der schwierige Weg zur Aufdeckung von potenziell anderen Widersprüchen und Barrieren geprägt als dies für weibliche Kinder und Jugendliche der Fall ist. Damit die Aufdeckung früher und häufiger geschehen kann, sollten anhand einer biografischen, multidimensionalen Rekonstruktion von Aufdeckungsprozessen Lücken und Wege im Hilfeangebot für männliche Betroffene aufgezeigt sowie Empfehlungen erarbeitet werden, wie eine angemessene Hilfe aufgebaut sein muss. In diesem Zusammenhang wurden Fortbildungsmodule für die pädagogische Arbeit mit Jungen, Elternarbeit, Multiplikator_innenbildung sowie für Beratungsstellen entwickelt.

Ausgangslage

Den Ergebnissen der polizeilichen Kriminalstatistiken zufolge handelt es sich bei knapp einem Viertel kindlicher Opfer von sexualisierter Gewalt um Jungen. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel aller Fälle von sexualisierter Gewalt werden entweder gar nicht oder erst im Erwachsenenalter aufgedeckt. Da die meisten Aufdeckungen innerhalb des privaten Bereichs geschehen, bleiben die Informationen über die sexualisierte Gewalt oft im Dunkeln. Nur wenige Missbrauchsfälle werden institutionell behandelt, etwa durch Strafverfolgung, Jugendämter oder medizinisch-psychologische Dienste. Die institutionell sichtbaren Fälle bilden nur die Spitze des Eisbergs – "darunter liegt ein Dunkelfeld der sexualisierten Gewalt". (Mosser, 2010: 3)

Qualitative Forschung: Biografisch-mehrdimensionale Rekonstruktion von Aufdeckungsprozessen

In der Studie wurden Interviews mit Personen als Professionelle, Betroffene und Beteiligte durchgeführt.

Ziel von Interviews mit Professionellen aus den unterschiedlichen Feldern der Beratungs- und Wissenschaftspraxis war es, spezifisches Wissen zu Aufdeckungsprozessen bei männlichen Kindern und Jugendlichen (und deren professioneller Begleitung) zu sammeln und möglichst genaue Hinweise zu den noch offenen Fragen und Bedarfen im Themenfeld zu erhalten.

Biographische Interviews mit männlichen Betroffenen bildeten den empirischen Kern des Projektes. Interviewt wurden Männer, denen als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt widerfahren ist und die sich inzwischen offenbart haben, zu ihrem Weg zur Aufdeckung der Gewalttaten. Ziel war die Erforschung der Bedingungen, die es den Interviewpartnern erleichtert oder erschwert haben, ihre Missbrauchserfahrungen aufzudecken.

Interviews mit an Aufdeckungsprozessen beteiligten Personen sollten jene Mechanismen näher beleuchten, die zur Offenlegung geführt haben. Dafür wurden die interviewten Betroffenen gefragt, ob sie eine Person nennen möchten, die in ihrem Aufdeckungsprozess hilfreich war.

Die zu einem "Fall" gehörenden Interviews werden unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Perspektiven zu Fallstudien zusammengefasst.

Praxisentwicklung

Auf der Basis des in der Forschungsphase erarbeiteten Wissens zu Aufdeckungsprozessen und Qualifikationsbedarf des pädagogischen Personals in Institutionen und Organisationen wurden Fortbildungsmodule zur pädagogischen Arbeit mit Jungen (Schule und außerschulische Jugendbildung), zur Arbeit mit Eltern und zur Arbeit mit männlichen Betroffenen für Berater_innen und Therapeut_innen in psychosozialen und Gewaltberatungsstellen sowie für Ärzt_innen entwickelt und getestet.

Politikempfehlungen

Das Projekt erarbeitete Politikempfehlungen für den Ausbau eines angemessenen Hilfesystems.

Forschungs- und Praxisteam

Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wurde von Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. unter Einbeziehung von Expert_innen der Fachträger und KooperationspartnerInnen Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (Graz/Österreich, vormals Männerberatung Graz), Tauwetter e.V. (Berlin), Dreist e.V. (Eberswalde) und mannigfaltig Minden-Lübbecke e.V. umgesetzt.

Durch diese Kooperation wurde eine enge Verknüpfung von Theorie, empirischer Forschung und Praxis innerhalb des Projektes gewährleistet. Es wurden nicht nur neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegt sondern auch direkt in der Praxis getestet und umgesetzt.

Interdisziplinarität gewährleistet unterschiedliche Sichtweisen auf ein gesellschaftliches Problem, um fruchtbare Lösungswege beschreiten zu können. In der Kooperation sowie im wissenschaftlichen Beirat waren die Disziplinen der Psychologie (klinische, sozialpsychologische), Soziologie, Erziehungswissenschaft und Politikwissenschaft vertreten. Gender und Masculinity Studies bildeten die gemeinsame Klammer aller involvierten Disziplinen.